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Alexander Pruß.
Askold I. Ivantchik, Kimmerier und Skythen. Kulturhistorische und chronologische Probleme der Archäologie der osteuropäischen Steppen und Kaukasiens in vor- und frühskythischer Zeit. Steppenvölker Eurasiens, 2. Moskau: Paleograph Press, 2001.

Orientalistische Literaturzeitung 98/6, (2003).

 

Am Ende des 8. Jh.s v. Chr. werden in assyrischen Textquellen erstmals Gruppen von nach Vorderasien eindringenden Reiternomaden erwähnt, die als Gimirrāia und Iškuzāia bezeichnet werden. Bei diesen handelt es sich um die in später verfassten griechischen Texten als Kimmerier und Skythen bezeichneten Völker. Mindestens ein Jahrhundert lang sind sie ein bedeutender politischer und militärischer Faktor im nördlichen Vorderasien, bevor sie im späten 7. / frühen 6. Jh. wieder nach Norden abgedrängt werden.

Mit den Kriegszügen der Kimmerier und Skythen treten deren Herkunftsgebiete — nach allgemeiner Überzeugung die nordpontischen Steppen und das nördliche Kaukasusvorland — erstmals in engere Beziehung zu den durch eine gute Überlieferungslage und durch das Vorhandensein von schriftlichen Quellen gut datierten Kulturen Vorderasiens. Daher hat die Frage, welche archäologischen Spuren die Züge dieser Völker nach Vorderasien sowohl dort als auch in ihren Herkunftsgebieten hinterlassen haben, die Forschung schon lange beschäftigt. Ein allgemein anerkannter Konsens zu diesem Thema fehlt allein schon deshalb, weil grundlegende Meinungsunterschiede in Bezug auf die Chronologie der nordpontischen Kulturen bestehen.

Um eben diese gegenseitigen Einflüsse und ihre chronologische Einordnung geht es A. Ivantchik in dem hier besprochenen Werk. Es handelt sich um die überarbeitete Fassung eines Teils der Habilitationsschrift des Vf., mit der dieser 1996 in Fribourg / Schweiz habilitiert wurde.

Die wesentlichen Aussagen des Autors lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die assyrischen Quellen zeigen, dass sich in Zentralanatolien in der ersten Hälfte des 7. Jh.s Kimmerier aufgehalten haben, nicht aber Skythen (S. 16–20). Daher sind Objekte mit Beziehungen zur sog. ‚frühskythischen Kultur‘ aus vier zentralanatolischen Gräbern dieser Zeit den Kimmeriern der historischen Überlieferung zuzuweisen (S. 21–49). Hierdurch ergeben sich auch in den vermutlichen Herkunftsgebieten von Kimmeriern und Skythen Indizien für eine archäologische Identifikation der Kimmerier (S. 49–56). Die in Vorderasien gefundenen Objekte mit Beziehungen zu den Steppengebieten gehören frühestens zur Kelermes-Phase der ‚frühskythischen Kultur‘; angebliche Beziehungen zur früheren Žabotin-Phase oder garzur noch älteren Novočerkassk-Gruppe erweisen sich bei genauerer Betrachtung als nicht existent. Folglich ist davon auszugehen, dass neben Skythen auch Kimmerier Träger der ‚frühskythischen Kultur‘ waren (S. 56). Die Kelermes-Phase beginnt bereits im späten 8. / frühen 7. Jh. und damit früher als vielfach angenommen (S. 114–119, 201, 280). Die Novočerkassk-Gruppe ist — unter anderem wegen ihrer Analogien zu Hallstatt Bl bis B3 — in das späte 10. bis frühe 8. Jh. zu datieren (S. 122—135). Angebliche Indizien für eine Teilnahme von Trägern der Novočerkassk-Gruppe oder der vor-skythischen Kulturen des Nordkaukasusgebietes an Kriegsz?gen in Vorderasien lassen sich in allen Fällen widerlegen (S. 136–260). Die bis in jüngste Zeit vertretene These von der Gleichsetzung der Novočerkassk-Gruppe mit den Kimmeriern der historischen Texte entbehrt daher jeder Grundlage.

Die Stärke des Buches liegt in seiner gründlichen archäologischen und typologischen Analyse, die dank der zahlreichen qualitätvollen Abbildungen auch ohne großenbibliographischen Apparat nachvollzogen werden kann. So wird beispielweise für die angeblich vorderasiatischen Elemente der Novočerkassk-Gruppe jeweils einzeln dargelegt, welchen kulturellen Hintergrund sie haben und woher ‚fremdartig‘ erscheinende Elemente stattdessen übernommen worden sein könnten. Es kommt dem Autor dabei sehr zu Gute, dass er sich nicht nur in der Archäologie der eurasischen Steppen gut auskennt, sondern auch im Vorderen Orient auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes ist. Ihm ist zuzustimmen, wenn er die keilschriftlichen Quellen zum Thema, zu denen er sich bereits in einer Monographie geäußert hat (1), bezüglich der Frage der Lokalisierung der Kimmerier den Angaben der griechischen Autoren (v. a. Herodot) vorzieht. Die assyrischen Quellen (Geheimdienstberichte, Orakelanfragen) sind zeitgenössisch und versuchen im Gegensatz zu den griechischen Historiographen keine historisch-narrative Interpretation. Im Unterschied zu achämenidenzeitlichen Texten wissen die assyrischen Quellen auch klar zwischen Gimirrāia und Iškuzāia zu unterscheiden, so dass man davon ausgehen kann, dass mit dem ersten Begriff auch tatsächlich die Kimmerier bezeichnet sind (2).

Verdienstvoll ist es auch, dass der Autor die mit den eurasischen Nomaden in Verbindung gebrachten Funde aus verschiedenen Teilen Anatoliens genauer untersucht hat (S. 57–96) und überzeugend versucht, die eindeutig der ‚frühskythischen Kultur‘ zuzurechnenden Objekte von jenen zu scheiden, die wohl lokal unter dem Einfluss von Kimmeriern und Skythen entstanden sind.

Die chronologischen Schlussfolgerungen des Autors wirken ingesamt überzeugend. Zwar verwendet er im Bemühen um eine relativ frühe Datierung kaukasischer und nordpontischer Kulturen — die er keineswegs alserster vertritt (3) — gelegentlich anfechtbare Argumente. Im Fall der Übernahme einzelner Elemente aus einer anderen Kultur, z. B. der gegossenen Bronzehelme des ‚Kuban‘-Typs von den westlichen Chou (S. 115), ergibt sichaus der Laufzeit im Ursprungsgebiet noch kein zwingendes Ende der Benutzung in einem anderen Gebiet. Auch die von Kossack übernommene Datierung der kobanischen Bogenfibeln (11. Jh.) scheint dem Rez. um ein Jahrhundert zu früh. (4) Für die kulturgeschichtliche Interpretation der chronologischen Fragen haben diese Einwände aber nur untergeordnete Bedeutung. Überzeugend wird dargelegt, dass alle vorhandenen Daten dafür sprechen, dass die direkten Beziehungen zwischen den nordpontischen Kulturen und Vorderasien erst mit der Kelermes-Phase der sog. ‚frühskythischen Kultur‘ einsetzen. Irritierend ist allerdings, dass die Datierung der mit einer Vielzahl von orientalischen Importen ausgestatteten Prunkgräber aus den Kurganen der Kelermes-Phase nur sehr kurz in drei Anmerkungen in der Zusammenfassung (S. 280) diskutiert wird. (5)

Problematisch erscheint dem Rez. jedoch, auf welche Weise hier archäologische und historische Daten miteinander in Verbindung gebracht werden. Wenn die assyrischen Quellen zu Anatolien nur Kimmerier, nicht aber Skythen nennen, heißt dies noch nicht, dass die Anwesenheit von nicht-kimmerischen Steppennomaden hierausgeschlossen werden kann. Für die Gegend von Amasya (‚kimmerisches‘ Grab bei İmirler) werden sich die assyrischen Quellen ohnehin kaum verwenden lassen, da diese Region deutlich außüerhalb der assyrischen Interessenssphäre lag. Ohne genannt zu werden, kommt hier doch wieder Herodot zum Zug, der von der Ansiedlungder Kimmerier bei Sinope berichtet.(6)

Durchaus überzeugend weist Ivantchik darauf hin, dass die Funde von ‚skythischen‘ Objekten in Karmir-Blur und anderen urartäischen Festungen der ersten Hälfte des 7. Jh.s nicht notwendiger Weise auf die Anwesenheit von Steppennomaden verweisen, da einzelne Elemente der ‚skythischen‘ Ausrüstung, vor allem der Bewaffnung und des Pferdegeschirrs, schnell von anderen Gruppen übernommen worden seien (S. 58–66). Warum dann aber das Pferdegrab aus Norşuntepe (S. 21–36), das ebenfalls urartäische und ‚skythische‘ Objekte enthält, als unzweifelhaft kimmerisch angesehen wird, wird nicht klar. Teilweise widerspricht sich der Vf. selber: Zunächst werden Riemenkreuzungen mit Greifenwidderköpfen noch als „sicheres Erkennungsmerkmal der frühskythischen Kultur“ bezeichnet, das „im Unterschied zu anderen nicht von den vorderasiatischen Völkern entlehnt worden zu sein“ scheint (S. 34). Wenig später heißt es hingegen unter Bezugnahme auf genau solche Riemenkreuzungen, däss‚ „die Bevölkerung der urartäischen Peripheriefestung Teišebaini nicht nur Gegenstände des skytho-kimmerischen Tierstils benutzte, sondern sie auch selbst herstellte. Dies mahnt in anderen Fällen ... Gegenstände[n] mit Tierstildarstellungen vorsichtiger zu interpretieren. Sie können nicht nur die Spuren eines Aufenthaltes von Skythen oder Kimmeriern, sondern auch eine einfache Widerspiegelung des Einflusses der skytho-kimmerischen Kultur sein“ (S. 60).

Bei den ‚skythischen‘ Pfeilspitzen wird (S. 57) die Mittedes 7. Jh.s als Datum festgesetzt, bis zu dem sie mit den Kimmeriern in Zusammenhang gebracht werden können. Danach seien die Pfeilspitzen auch bei anderen Völkern weit verbreitet gewesen. Diese Abgrenzung erscheint willkürlich und vor allem in dem Wunsch begründet ‚echt‘ kimmerisches Material definieren zu können.

In seiner völlig berechtigten Zurückweisung der Spätdatierung, die Medvedskaya für Hasanlu IV vorgeschlagen hat (S. 261-278) weist der Autor darauf hin, dass es‚ „auch aus allgemeinen methodischen Überlegungen heraus klar [ist], dass die historische Interpretation die archäologischen Datierungen nicht vorausbestimmen darf“ (S. 273). Genau dieser Versuchung hat Ivantchik allerdings bei der Behandlung der anatolischen Grabfunde nicht widerstehen können. Seine Zuweisung dieser Funde an die aus den Texten bekannten Kimmerier ist nicht auszuschließen, lässt sich aber auch nicht beweisen. Damit entfällt ebenfalls die mehrfach (S. 48 f., 55, 279) angedeutete Möglichkeit, Spuren der Herkunft der Kimmerier in den eurasischen Steppen und im Kaukasus zuverfolgen. Nicht einmal für die vom Autor vorausgesetzte Zuordnung der Kimmerier zur ‚frühskythischen‘ archäologischen Kultur gibt es wirklich tragfähige Beweise.

Generell ist irritierend, wie selbstverständlich Ivantchik davon ausgeht, dass archäologische Kulturen oder sogar einzelne Typen mit bestimmten ethnischen Gruppen verbunden werden können, sobald nur genügend historische Informationen vorliegen. So heißt es z. B.über einen Typ von anatolischen Riemenkreuzungen: „Es bleibt also unklar, mit welchem Volk diese Gruppe von Riemenkreuzungen in Zusammenhang-zu bringen ist“ (S. 82).

Obwohl es dem Autor also nicht gelingt, „das Problem der kimmerischen archäologischen Kultur“ (S. 15) auf überzeugende Weise zu lösen, ermöglicht es die sorgfältige archäologische Argumentation, die kulturellen und chronologischen Rahmenbedingungen der Kimmerier- und Skythenzüge im Vorderen Orient klarer als bisher zu erkennen. Das Buch ist daher als erfreulicher Fortschritt zu bezeichnen.


Notes:

1. Askold I. Ivantchik, Les Cimmériens au Proche-Orient (Orbus Biblicus et Orientalis 127), Fribourg / Göttingen 1993.

2. Herrmann Sauter, Studien zum Kimmerierproblem (Saarbrücker Beiträge zur Altertumskunde 72), Bonn 2000 behandelt in seiner Kritik an einem früheren Aufsatz Ivantchiks (Das Problem der ethnischen Zugehörigkeit der Kimmerier und die kimmerische archäologische Kultur, PZ 72, 1997, 12 ff.) die keilschriftlichen Quellen als Einheit und verkennt dabei die Glaubwürdigkeit der assyrischen Angaben. Sauters Arbeit konzentriert sich auf eine ausführliche Analyse der griechischen Autoren und belegt damit — sicher unfreiwillig — dass dieser Weg bei der Lösung des ‚Kimmerierproblems‘ auch nicht weiterhilft.

3. S. etwa Georg Kossack, Von den Anfängen des skytho-iranischen Tierstils, in: E. Franke (Hrsg.), Skythika (Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, N. F. 98), München 1987: 24–86.

4. Georg Kossack, Tli Grab 85. Bemerkungen zum Beginn des skythenzeitlichen Formenkreises im Kaukasus (AVA-Beiträge 5),1983: 99–101. S. Alexander Pruß, Zur Chronologie des Gräberfeldes von Tli (Teil 2), Georgica 17, 1994: 14–16.

5. Zu diesen, s. L. K. Galanina, Die Kurgane von Kelermes. „Königsgräber“ der frühskythischen Zeit (Steppenvölker Eurasiens l),Moskau / Berlin 1997.

6. Herodot, Historien IV 12.






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